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RATA – Race across the alps – 540 Kilometer, 13.650 Höhenmeter, 13 Pässe mit dem Fahrrad, das härteste Eintagesrennen der Welt

Lothar Müller, Bürgermeister aus Plößberg nahm daran teil und erreichte das Ziel im Zeitlimit.

 

Seit dem Jahr 2000 gibt es dieses Rennen, normalerweise Zeitgleich mit dem Dreiländergiro (Nauders, Österreich) an dem mehrer tausend Fahrradfahrer teilnehmen. Dadurch wurde auch ich auf dieses Rennen aufmerksam. Lange Strecken und Fahrrad fahren in den Bergen faszinieren mich schon seit langem. Aber „diese“ Länge und „diese“ Höhenmeter“ – ist das für mich zu schaffen? Es würde sicher eine „Grenzerfahrung“ werden. Immer wieder dachte ich an diese Veranstaltung – und meldete mich an. Zwar wusste ich noch nicht, wie ich die minimal notwendigen Trainingskilometer schaffen sollte und wann ich Zeit dafür hätte, aber irgendwie wird das schon funktionieren. Ganz nach dem Motto: „No risk no fun“. Im Januar stimmte ich das Ganze mit meiner Frau ab, die, wie auch unsere Kinder, natürlich mit Einschnitten im Familienleben rechnen mussten.

Dann kam die Vorbereitungszeit. Immer noch unbedarft, weil eine Nichtteilnahme noch möglich war. Eine Knieverletzung im März ließ das ganz unmöglich erscheinen. Bis die Verletzung einigermaßen ausgeheilt war, dauerte es zwar ca. acht Wochen, aber das Training auf dem Fahrrad nahm ich schon nach 10 Tagen wieder auf. An den nächsten Tag merkte ich, dass das von den Schmerzen her ein Fehler war, aber der Kondition tat es gut. Aufgrund dieser Tatsache gab mir der Veranstalter noch etwas Zeit, mich endgültig anzumelden.

 

Die Vorbereitungszeit war nicht einfach. Der Faktor Zeit war das Problem. Wo kann ich noch kürzen, ohne etwas zu vernachlässigen. Es war der Schlaf, der je eigentlich auch nicht so wichtig ist und mit dem Horizont auf das Ziel, durch die Motivation auch automatisch ausgeglichen wird. Der Wecker klingelte schon mal öfters am Wochenende um 4.00 Uhr, damit ein ordentliches Training erledigt werden konnte, bevor der erste Termin angesagt war.

 

Für dieses Rennen ist ein Begleitfahrzeug mit mindestens vier Begleitern notwendig. Einer davon wird als Kontrollorgan einem anderen Team zugelost.

Jetzt hieß es ein Team zusammen zu stellen. Zweierlei war mir wichtig, Personen mit Erfahrung auf dem Fahrrad, möglichst gemeinsam mit mir und jemand, der mich auch ganz persönlich kennt. So bestand das Team aus Fahrradkollegen von der Concordia Windischeschenbach und mit Personen aus meinem familiären Bereich.

Es waren dies Erwin Weiß aus Windischeschenbach, mit dem ich im Jahr 2000 mit dem Fahrrad nach Rom fuhr, und Richard Beer aus Falkenberg, ein Radsportkollege, der als Mechaniker hervorragend fungierte. Weiterhin war mein Bruder Robert und mein Schwager Christian Schuller dabei. Mitgefahren wäre noch mein Schwager Stefan Sporrer, der aber aus persönlichen Gründen kurzfristig absagen musste. Zwei Wochen vor dem Start war die notwendige Teambesprechung mit Einteilung der Aufgaben.

 

 

Dieses Rennen beginnt um 12 Uhr Mittag und ich rechnete für mich persönlich – soweit ich es überhaupt schaffen würde – mit gut 28 Stunden. Das heißt, man fährt Tag und Nacht mit dem Fahrrad und auch das Team ist Tag und Nacht dabei. Ein Wohnmobil für das Team mit ausreichend Schlafgelegenheit schien mir angebracht.

Nachdem Team, Fahrzeuge und Unterkunft organisiert waren und ich für meine Meinung ausreichend trainiert hatte, ging es los.

 

Nach der Anreise und vor Ort stellte sich jedoch heraus, dass dieses Wohnmobil als Begleitfahrzeug doch nicht geeignet war. So haben wir uns noch kurz vor der Veranstaltung entschlossen, dass das Team mit einem PKW mitfährt.

 

Am Tag vorher war die Startnummernausgabe und das Briefing, bei der es die entsprechenden Informationen für das Rennen gab und jede Mannschaft ein Roadbook erhielt.

Freitag, 07.07.2006, 12.00 Uhr jetzt war es so weit. Der Start. 33 Fahrer. Gemeinsam ging es noch über den Reschenpass bis zur Auffahrt zum Stilfserjoch (2.757 Meter über N.N.). Dann wurde das Feld freigegeben. Nur 20 kamen ins Ziel. Ich war der 20. und mit gut 30 Stunden noch unter dem Zeitlimit von 32 Stunden. 13 Fahrer mussten vorzeitig aufgeben.

Anfänglich lief es für mich hervorragend. Motivation, Kondition, Team, alles war o.k. Am schwersten Pass, dem Mortirolo, nach ca. 210 Km, war ich noch weit vor dem geplanten Zeitlimit. Es lief hervorragend. Nach rund 270 Km, es war ca. 24 Uhr ging es den Berninapass hoch. Bisher gab es fast ausschließlich Regenwetter, was natürlich an Kraft und Motivation zehrt. Auf regennasser Straße ging es den Bernina hinauf, ein Pass auf 2.330 Meter über normal Null. Oben war es sehr kalt und sehr windig und natürlich auch finster, da ich um 2.20 Uhr den Pass erreichte. Schon immer wollte ich einmal in den Schweizer Bergen mit dem Fahrrad fahren, aber nicht bei Nacht, nicht bei Nebel und nicht bei Kälte. Es war eine aufreibende und nervende Passauffahrt. Das Begleitfahrzeug ständig hinter mir, prägte mir den monotonen Klang des Motors und der Klimaanlage ein. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich, wenn ich in der nächsten Nacht in der ich schlafen werde etwas träume, dann von diesem monotonen Geräusch.

Richard, unser ansonsten etwas wortkarger aber herzlicher Mechaniker, von dem ich auch eine Top Übersetzung und super Laufräder für das Fahrrad bekam, sagte mir vorher noch: „Der Bernina geht schön hochzufahren“. Ich wusste, er kennt sich da aus. Seine Aussage war auch korrekt, stimme aber mit meiner momentanen Verfassung nicht überein. Zwar kam ich noch ganz anständig diesen 7. Pass hinauf, nach ca. 300 Km, aber für mich unbemerkt, da ich auch schon wieder 2,5 Stunden ohne Pause unterwegs war, kamen doch konditionelle Probleme. Auf der Passhöhe hielten wir wie die anderen Teams, die zu diesem Zeitpunkt bei uns waren an. Es war finster, sehr kalt und sehr windig. Neben der fürchterlichen Kälte, vielleicht aus deswegen, hatte ich Magen- und Darmprobleme. Zurück von der Mobiltoilette klapperte ich wie eine Marionette. Mit der durchgeschwitzten und regennassen sehr kalten Kleidung konnte ich nicht weiterfahren. Entweder das Rennen ist aus oder ich ändere etwas. Also kam mein Beschluss, jetzt wird sich komplett umgezogen.

Alle Kleidungsstücke, die ich eigentlich rein vorsorglich dabei hatte und die ich bei uns nur im Winter anziehe, zog ich mir an und noch ein bisschen mehr. Das Team musste dabei etwas leiden. Sie standen, teilweise etwas leicht bekleidet, eine halbe Stunde bei Wind und Kälte im Regen, während ich mich im waren Auto umzog. Dieser Beschluss war u.a. rennentscheidend. Bei der Abfahrt war mir dann angenehm war. Im anschließenden flachen Teilstück musste ich mich wieder ausziehen.

Um 3.25 Uhr ging es den nächsten Pass hoch. Es war nach wie vor finster, eigentlich kann ich mich nur noch an den Einstieg erinnern, da zwei Rennteilnehmer, die ich bei der Abfahrt vom Bernina überholt habe wieder bei mir waren und die ein Begleitfahrzeug mit Navigationssystem und Außenlautsprecher dabei hatten. Irgendwie erreichten wir fast gemeinsam die Passhöhe und fuhren zusammen hinab. Noch wesentlich schwieriger als die Abfahrt bei Nacht vom Berninapass gestaltete sich die Abfahrt vom Albula. Nebel, finster, teilweise fehlende Fahrbahnmarkierung. Drei Rennteilnehmer mit ausreichend Beleuchtung und drei Begleitfahrzeuge, die den Weg ausgeleuchtet haben, ging es den Berg mit „Acho Karacho“ hinab.

Nach Filisur, ca 350 Km waren geschafft, war für mich die Luft raus. Es ging leicht hoch nach Davos. Eine leichte Steigung. Ansonsten kein Problem für mich, aber ich „radelte“ nur so vor mich her, kein wirklicher Beitrag für ein Rennen, aber mehr war nicht drin. Erstmals dachte ich ans Aufgeben. Vor dem Flüela Pass riet mir das Team eine Pause im Auto zu machen. Mit dem Trinken hatte ich Problem, mit dem Essen funktionierte fast gar nichts mehr. Eine halbe Banane ging gerade noch. Eine zufällig bei einer Baustelle, bei der wir anhielten stehende Mobiltoilette hat mich vor Unannehmlichkeiten bewahrt. Also folgte ich dem Rat meines Teams. Ich war nicht müde, obwohl ich die ganze Nacht durchradelte, aber ich war einfach „leer“. So lag ich im Auto, mindestens eine Stunde hatte ich mir ausbedungen.

Jetzt kamen die Gedanken, die mir das Aufgeben nicht einfach machen sollten. Was wird mein Team davon halten? Was werden meine Bekannten davon halten, denen ich von diesem Rennen erzählt habe? Wie würde ich eine Aufgabe verarbeiten?

Noch hatte ich den ganzen Tag Zeit.

Zwar hatte ich keinen Appetit mehr und auch keinen Durst. Der Bauch spannte ungemein. Ich zwang mich aber etwas zu essen und bei der Auffahrt zum Flüela nahm ich mir vor immer wieder einen Schluck zu trinken, was mir auch gelang. Wie sollte ich zu diesem Zeitpunkt die restlichen 170 Km noch schaffen? Es waren noch fünf Pässe zu fahren. Mit großer Unterstützung und Motivation durch das Team, machte ich mich weiter auf dem Weg, mal sehen wie es geht. Aufgeben kann ich ja immer noch, was aber nie meine Absicht war. Untypischerweise für ein Rennen, machten wir noch Halt in einem Gasthaus, um eine warme Suppe zu essen, die mir wirklich gut tat. Das Wetter wurde auch besser. Der letzte große Anstieg war noch einmal die „Nagelprobe“. Gleich beim Einstieg in den Umbrailpass in St. Maria (1.375 m .ü. N.N.) eine Steigung von rund 15 %. Dieser Pass geht zum Stilfser Joch, das noch einmal zu überqueren war. Es war also noch ein ordentliches Stück Weg und Steigung vor mir, bevor ich die Passhöhe von 2.757 Meter erreichen werde. Mit guter Fürsorge durch das Team und den einfachen Gedanken, dass man eigentlich kurz vor dem Ziel ist, schaffte ich diesen Anstieg und auch der letzte, aber wesentlich leichtere Anstieg zum Reschenpass, wurde dann noch abgeradelt. Kurz vor Ziel reichte mir das Team noch das T-Shirt „Markt Plößberg 1“, mit dem ich dann ins Ziel fuhr, wo mich meine Familie und das Organisationsteam noch erwarteten.

Durch die Freude es geschafft zu haben, wenn auch als Letzter, lud ich die ganze Mannschaft noch ein und bedankte mich sehr herzlich bei allen, die mir geholfen hatten, diese Tour durchzuziehen. Zurück im Quartier wurde aber schnell klar, dass ich heute nicht mehr weit kommen werde. Es war der Abend, als es bei der FußballWM um den Dritten Platz ging. Ich kann mich zwar noch erinnern, dass da Leute im Fernsehen gerannt sind, aber vom Spiel selber habe ich nicht wirklich etwas mitbekommen und nach einer halben Stunde war ich dann im Bett und schlief – eigentlich wieder erwarten – sehr gut.

 

Es war eine schöne Erfahrung, eine schöne Tour, das Wetter hätte besser sein können und nächstes Jahr fahre ich mit einer anderen Taktik – gar nicht.

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